Kunst bedeutet die Welt!
„Kultur ist jeder zweite Herzschlag unseres Lebens“, sagte der Potsdamer Arbeiterdichter Hans Marchwitza. Und in der DDR kam der Kunst tatsächlich eine große Bedeutung zu. Sie war nicht allein ein Verbrauchsgegenstand, der beliebig hingestellt und entfernt werden konnte. Vielmehr diente sie der Bildung und der Belebung des Alltags. Während über Schulbücher und alle möglichen Medien Bilder wie „Peterchen im Tierpark“ oder „Am Strand“ ihren Platz im kollektiven Gedächtnis und im allgemeinen Bildungs-Kanon fanden, diente Kunst im Stadtraum einer Lesbarkeit und Orientierung. Immerhin waren ja Leuchtreklamen und Kauf-Verheißungen eher selten und die Gefahr der Monotonie bestand. Oftmals wurde dann dafür durch Kunst Bezug auf die unmittelbare Umgebung oder das Gebäudeinnere genommen. Der Stadtraum als flächendeckende Groß-Ausstellung: An der Parteischule in Waldstadt zeigte ein teures Mosaikbild mehrgeschossig die damaligen gesellschaftlichen Utopien (sinnlos zerstört), am Haus des Reisens am Platz der Einheit wurde ein Flugschiff am Giebel angebracht (aus dem Zusammenhang gerissen nun an einem Parkhaus) und neben der Bibliothek stand eine Weltkugel, die sich aus einem Zitat von Marx und Goethe zusammensetzte, wie sich durch die Literatur eben auch die Welt erschließen lässt.
Lange war es still geworden um dieses 1977/78 geschaffene Kunstwerk. Bereits bei der Sanierung der Landesbibliothek 2010, bei der auch ein großes Wandbild zwar erhalten, aber in Stücke gerissen wurde, erfuhr das Kunstwerk gröbste Gewalt. Für den Abtransport wurde die Kugel radikal zerlegt und dann wenig fachgerecht auf einer Wiese am Bauhof abgeladen. Das Eigengewicht verformte die Teile, das Wetter förderte – vor allem an den Schnittstellen – die Korrosion. Das hätte das Ende sein können.
Oftmals wird der Wert von Kunst in Potsdam erst verstanden, wenn zahlende Touristen dafür in die Stadt kommen. In diesem Fall blieb die Weltkugel in der Diskussion und auch das Argument, inzwischen sei der Wiederaufbau aufgrund der vielen Schäden viel zu teuer, ging nicht durch. Doch wohin mit der Kunst? Wieder in die Nähe der Bibliothek, direkt ins Stadtzentrum? Das wäre aufgrund der Bildsprache genauso sinnvoll gewesen wie die Figuren des Staudenhofes auf einer zentrumsnahen Erholungsfläche. Doch heute soll Kunst beliebiger sein. Ob Kindergarten oder Friedhof, ob Bahnhofsvorplatz oder Gartenanlage: sie hat sich ein- und unterzuordnen, gefällig zu sein ohne selbst eine Aussage zu treffen, das Umfeld zu ergänzen, ohne es zu dominieren oder zu kommentieren. Dem Bildverständnis des alten Potsdamer Stadtraums wird diese Denkweise leider nicht gerecht. Die Leinwand ist ausgeschnitten, doch der Rahmen ist verloren.
Ein wenig verloren wirkt nun auch die Weltkugel, die zwischen Markt Center und Hochhäusern an der Zeppelinstraße eingezwängt ihren neuen Platz gefunden hat. Und dennoch besteht Grund zur Freude. Sie ist wieder da! Und sie kann nun zwischen Einkauf und Heimweg oder aus dem Stau in der Breiten Straße heraus betrachtet werden. Vielleicht bringt das neue Anregungen in den Alltag. Im Sinne der Weltkugel zum Beispiel: Dran bleiben und die Welt verändern! |Andreas Kellner