Auf den Spuren des Krieges
Eine Sonderausstellung über die Potsdamer Konferenz erinnert an ein wichtiges Jubiläum. Ein Dreiviertel Jahrundert ist inzwischen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges vergangen, der danach „nur“ noch in lokalen Krisenherden aufflammte. Während Ausstellungen wie die in Cecilienhof daran eindrücklich erinnern, scheint das Thema ansonsten weit in die Ferne gerückt zu sein. Der Krieg befindet sich in den täglichen Nachrichten, erreicht Nähe maximal noch über Kriegsflüchtlinge in der eigenen Nachbarschaft. In einer Zeit, in welcher militärische Konflikte bei manchen ihren Schrecken zu verlieren scheinen, ist es umso wichtiger, sich vor Augen zu führen, dass dies auch alles hier vor Ort schon geschehen ist. Und umso glatter alte Mauern mit einem neuen Anstrich in Pastell versehen werden, desto wichtiger sind noch verbliebene Spuren.
Potsdam West als Kampfschauplatz hat dabei – bisher – noch manches vorzuweisen. Während in der Maybachstraße zerborstene Bordsteinkanten von Granateinschlägen in die Fahrbahn zeugen, können aufmerksame Beobachter in der Brandenburger Vorstadt noch Pfeile an den Fassaden erkennen. Diese deuten auf Luftschutzkeller und gaben nach einem Angriff Orientierung, an welchen Stellen unter den (dann) Ruinen sich noch Überlebende befinden könnten, falls sie nicht durch ausbrechende Feuer erstickt sind.
Bei den Bombardierungen ist Potsdam West glimpflich davongekommen. Heute noch offensichtliche Folgen der Abwürfe von Spengsätzen sind der Spielplatz neben der Erlöserkirche sowie die Gegend
mit allen Neubauten rings um das ehemalige Café „Zweitwohnsitz“ von der Geschwister-Scholl-Straße bis zur Zeppelinstraße. Wer genau auf die abweichende Farbe der Ziegelfassaden achtet, wird auch im Wohngebiet Schillerplatz das Ausmaß der einstigen Zerstörungen erkennen.
Der Straßenkampf ist dagegen in der Fläche schon umfangreicher gewesen. Während die letzten größeren Zeugnisse in der Zeppelinstraße mit dem Bau des Getränkemarktes beseitigt wurden, haben sich in der Brandenburger Vorstadt Spuren erhalten. Auf der westlichen Seite der Hans-Sachs-Straße haben bis heute Granateinschläge und Einschüsse in der Putzfassade und den Klinkersteinen sichtbare Spuren hinterlassen.
Kampfhandlungen entlang der heutigen Geschwister-Scholl-Straße lassen sich trotz sanierter Fassaden gelegentlich noch an den zerstörten Zaunfeldern nachweisen, wo einzelne Elemente verbogen oder herausgebrochen sind. Die wohl bekanntesten Schäden in der Geschwister-Scholl-Straße hat natürlich der Park Sanssouci aufzuweisen. Als sowjetische Panzer sich über die Lindenavenue den Weg zum Neuen Palais bahnten, wurde dafür das Post-Tor aus seinen Angeln herausgeschossen. Trotz Sanierung hat man die entstandenen Schäden sichtbar gelassen.
Es bedarf nur ein wenig Vorstellungskraft, wie es sich wohl anfühlte, während dieser Kampfhandlungen in den Kellern der Brandenburger Vorstadt zu hocken oder sich auf den lebensgefährlichen Weg durch die Stadt zu machen. Wo befanden sich wohl die Anwohner, welches Bild bot sich auf der Straße in dem Moment, als zum Beispiel der Zaun neben dem Fahrradladen seine heute noch sichtbaren Treffer erhielt? So schön Potsdam mit frischen Farben und netten Rekonstruktionen sein mag, täuscht es über die Tatsache hinweg, dass der Krieg auch schon hier, direkt vor den Haustüren, stattgefunden hat. Sind diese Spuren aus der Vergangenenheit wirklich so fern in einer Zeit des neuen Wettrüstens, der Wirtschaftssanktionen und der Stimmungsmache? Sie sind auch ein Mahnmal dafür, wie schnell Entwicklungen umschlagen können. Es ist daher wichtig, auch solche Spuren im Stadtbild festzuhalten, damit nicht eines Tages neue hinzukommen. | Andreas Kellner