Oh, Tannenbaum

Weihnachtsbäume unserer Redaktion in der Weihnachtsbaumausstellung im Kutschstall 2016 und 2017, Recycling-Weihnachtsbaum auf dem Serranoplatz 2019 (v.l.n.r.), Fotos: Beatrice Volkmer & Wolfgang

Weihnachten: Die einen können das Fest kaum erwarten, die anderen möchten währenddessen am liebsten das Land verlassen. Doch auch landesflüchtige Weihnachtsmuffel werden sich schwertun, ein Fleckchen Erde ohne Weihnachtstrubel und Weihnachtsbaum zu entdecken. Ganz besonders der festlich geschmückte Weihnachtsbaum ist längst multikulti und überwindet gelassen geografische und religiöse Grenzen.

Die Sehnsucht nach etwas Grünem, Lichtern und bunten Farben in der dunklen Jahreszeit, wenn die Natur im Winterschlaf erstarrt scheint, bedarf in unseren Breiten keiner Erklärung. In diesem Jahr zaubern unglaubliche 29,5 Millionen Tannenbäume allein in Deutschland eine weihnachtliche Atmosphäre. Faszinierend, wie dieser stille Baum dabei Christliches und Heidnisches, Natur und Kultur, Kommerzielles und Individuelles gleichermaßen verkörpert.

Lange ehe er im 19. Jahrhundert in unseren Wohnzimmern zum zeremoniellen Mittelpunkt des Heiligen Abends wurde, galt der immergrüne Tannenbaum unseren Vorfahren schon als heilig. Er wurde als Lebensbaum, Sitz von Schutzgeistern aller Art und als Leiter, auf welcher die mystischen Schamanen den Himmel erklimmen konnten, verehrt. Selbst Kirchenlehrer erkannten, dass sie die starke „heidnische“ Symbolkraft der Tanne nicht ohne Weiteres wegpredigen konnten, und widmeten sie kurzerhand zum christlichen Paradiesbaum, dem Baum der Erkenntnis, um. Die frühesten schriftlichen Erwähnungen des nun christianisierten Weihnachtsbaums sollen 1419 von der Bäckerzunft im Breisgau stammen, andere Quellen nennen einen Straßburger Weihnachtsbaum als ersten geschmückten Weihnachtsbaum innerhalb von Wohnräumen. Seinen endgültigen Siegeszug trat er jedoch durch die Heirat von Prinz Albert mit der späteren Königin Victoria an. Prinz Albert brachte den bis dahin auf den deutschen Sprachraum begrenzten Brauch nach England. Von dort verbreitete er sich schnell über das britische Imperium über den gesamten Globus.

Mag sein, dass unser guter alter Weihnachtsbaum tatsächlich die ganze Welt verzaubert hat, kann auch sein, dass tief in allen Menschen eine unbewusste, kollektive Liebe und Verehrung von immergrünen Bäumen schlummert, die wenigstens einmal, zum Ende eines Sonnenzyklus, zur Geburt Christi, was immer man zum Anlass nimmt, ausgiebig gefeiert werden will. Bernd Brunner (Autor, Fernseh- und Zeitschriftenredakteur) fasst es so zusammen: „Allerorts taucht der alte Baum heute in neuem Gewand auf. Es ist ein Spiel mit Bedeutungen, mal ironisch, mal subversiv. Zuweilen wird der Bedeutungsverlust beklagt, dass die Insignien des Festes im Konsumtrubel untergehen. Vielleicht wird Weihnachten tatsächlich nicht mehr so intensiv erlebt, wie das früher der Fall gewesen ist. Dennoch ruft auch der moderne Baum die Erinnerung an die christliche Botschaft wach oder er stiftet Zusammenhalt unter Menschen, wenn sie vor dem Hintergrund anderer Kultur und Mentalität miteinander feiern. Überall in der Welt, wo die Tradition des Weihnachts- und Neujahrsbaums Wurzeln geschlagen hat, verändert sie sich weiter. Der Baum wird immer wieder neu erfunden.“ | Edith Schwarz






Written by BV