Die östliche Kantstraße
Es gibt Wohngebiete, die sich klar verorten lassen und deren Namen sofort Bilder im Kopf entstehen lassen. Doch was wäre die Vielfalt im Stadtteil, wenn es nicht davon auch Ausnahmen gäbe? Wie bei einigen versteckten Häusern zwischen Bahndamm und Zeppelinstraße, zwischen Schafgraben und Kastanienallee. Der Schafgraben zeigt an: Zur heute enger umrissenen Brandenburger Vorstadt gehört man hier nicht mehr. Doch erst mit Überqueren der Kastanienallee ist man so richtig in Potsdam-West.
Aufgrund des nassen Untergrundes begann in dieser Gegend eine Bebauung erst in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Die modernen Bauten mit dem hohen Lebenskomfort, einschließlich der hier vorhandenen „Prinzenwohnung“ wurden durch eine alte Kleingartenanlage von der lauten Meierei getrennt, von der täglich das Klappern der Milchkannen und der Traktoren herüberklang.
Während der zweite Weltkrieg nur vergleichsweise geringe Schäden hinterließ, waren die Änderungen in seiner Folge schon wichtiger. Die großen Wohnungen dienten anfangs Kriegsflüchtlingen als neue vorübergehende Unterkunft, die Kleingartenanlage geriet unversehens in den Blick der Stadtplaner und wurde in den späten 40er und 50er Jahren zu großen Teilen überbaut. Nur einige wenige Gärten haben sich bis heute hinter dem Getränkemarkt erhalten. Für viele Jahrzehnte bewahrten sich die neuen Häuser ihre Hinterhof-Atmosphäre. Anstelle des Discounters war – ohne Durchgang – das Betriebsgelände einer Gärtnerei, für Abkürzungen und Durchgangsverkehr waren die östliche Kantstraße und die Fichtestraße daher ungeeignet.
Etwas mehr öffnete sich das Wohngebiet zwangsläufig erst mit der Wende. Die Molkerei wurde abgerissen und durch einen Bürokomplex ersetzt. Die Gewächshäuser der Gärtnerei wichen dem Discounter und dem Getränkemarkt. Neue Wege wurden damit erschlossen, die oft auch Ortsfremde durch dieses Wohngebiet führen. Doch wo verorten sich seine Anwohner? Auf den Bänken am Spielplatz unter den Lindenbäumen wird man niemanden von „Kiez“ sprechen hören. Und trotz der vielen Passanten hat man sich die Abgelegenheit wie in Hinterhöfen bewahrt. Ist es wichtig, dem Kind einen Namen zu geben? Eine Insel. Ein paar hundert Anwohner, einige Häuser. Eben ganz einfach nur die Gegend zwischen Brandenburger Vorstadt und Potsdam-West. | Andreas Kellner