Nachbarschaftsroman – Teil 3

Foto: Andreas Kellner

Auch Jonas war zwischenzeitlich zuhause und hatte seinen Rucksack mit dem Zeug von der Uni in die Ecke geworfen. Genauere Beobachter waren bei ihm nie sicher, ob er die Wissenschaft seines Faches studierte oder das Verhalten seiner Mitmenschen. Für diese Marotte konnte er schon mal Nachtschichten einlegen. So hatte er jene Einkaufswagen, die nach Jahren in der Havel wieder ans Tageslicht befördert wurden, nachts zu den Geschäften zurückgebracht, um am darauffolgenden Tag die Reaktion der Kunden zu beobachten.

Jene brünette Schönheit mit den langen Haaren und der eleganten Bekleidung schien vorhin anfangs von Rost, Schlamm und den Muscheln kaum Notiz zu nehmen. Sie war ohnehin angewidert vom profanen Lebensmittel-Einkauf, holte routiniert ihre Desinfektionstücher heraus und machte fast den Eindruck, als wenn ihr täglich solche Situationen begegnen. Doch bereits wenige Meter hinter dem Eingang beendete sie hysterisch ihren Einkauf, da der Einkaufswagen, von dessen drei vorhandenen Rädern sich zwei bereits nicht mehr drehten, etwas mehr von ihrer wertvollen Aufmerksamkeit einforderte. Was waren das hier für Zustände? Wo war sie nur gelandet?

Ein schlechtes Gewissen kam in Jonas auf. War er diesmal zu weit gegangen? Er wollte ihr schon Hilfe anbieten, doch ein eisiger Blick, welcher die Hunde vor dem Geschäft zum Winseln brachte, hielt ihn zurück. Die Marken-Handtasche in ihrer geballten Faust wirkte wie eine bedrohliche Abrissbirne, die alle Hindernisse aus dem Weg räumt. Da würde er sich besser auf der Party ablenken, die heute Abend stattfinden sollte. Direkt eingeladen war er nicht. Aber es gab ein Büfett.

Noch schnell daheim etwas Gutes anziehen, das vor den anderen Gästen keinen allzu schlechten Eindruck macht. Dumpfes Grollen dröhnte von der hässlichen Dämonenfratze herab, die noch immer an seiner Zimmerdecke hing: Wohl der Zug nach Königs Wusterhausen, der ein paar Meter höher jetzt durchfahren sollte. Licht aus, Tür zu und hinaus ins Wochenende! Sicherheitshalber hatte er auch noch eine sehr allgemeine Glückwunschkarte mit der Aufschrift „Alles Gute“ in der Innentasche seiner Jacke. Sollte die Party nachher einen bestimmten Anlass haben, wäre er auf jeden Fall vorbereitet. | Andreas Kellner

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Written by BV