Nachbarschaftsroman – Teil 2

Foto: Andreas Kellner

Für Lara waren es keine schönen Überraschungen. Mit dezenten und damit ungeheuer zeitaufwendigen Kosmetiktricks hatte sie sich lange auf diesen Abend vorbereitet. Seufzend schaute sie hinaus auf das mittlerweile wieder nächtliche Potsdam-West. Hätten nicht hier und da ein paar Zigaretten vereinzelter Balkonraucher geglüht, man hätte bezweifeln können, dass hier menschliches Leben existierte. Dunkelheit, Stille, Langeweile, so hatte sich Lara das beginnende Wochenende nicht vorgestellt. Geplant war Wellness mit allem drum und dran auf Hermannswerder, schickes Dinner mit Sven am Abend und im Anschluss Party in Berlin. Doch Sven hatte kurzfristig und kurz angebunden abgesagt. Seine schleimigen Entschuldigungen und Liebesschwüre hätte er sich sparen können. Ekelhaft.

Bianca hatte sie gewarnt, aber noch vor einem halben Jahr war Lara überzeugt, Potsdam West sei das Angesagteste, was ihr passieren könne. Ein lebendiges Viertel, alles kreative Leute, die meisten irgendwie prominent, die Szene in Potsdam schlechthin, hatte Sven geschwärmt. Und, was war? Keine Spur von Szene. Täglich konnte sie sich von Neuem darüber aufregen. In den Cafes nur Rentner, gackernde Teenies, Mütter, besonders Mütter mit bläkenden Kleinkindern, und merkwürdige Männer, die Doktorarbeiten oder Ähnliches in ihre Laptops hackten, so verbissen wie die aussahen. Auf den holprigen Pflastern der Bürgersteige, für die sich jedes Kuhkaff geschämt hätte, versperrten Kinderwagen und Fahrräder den Weg. Dazwischen Hundescheiße und Sperrmüll.

Sinnlos, sich hier die Highheels zu ruinieren. Immerhin war wenigstens sie, top gestylt, mit ihren hüftlangen, glänzenden braunen Haaren eine optische Bereicherung. Auch, wenn das niemand zu bemerken schien.

Sie ärgerte sich, dass sie das mit dem Freundlichsein überhaupt erst versucht hatte. Im Hof war ihr, das war aber ganz zu Anfang ihrer Potsdam-West-Zeit, eine ältere Dame entgegengekommen: dezent pudding-farbenes Outfit, Lagerfeld-Mantel, perfekt dazu passend. Markenbewusstsein verbindet, das war Laras fester Glaube, und sie hatte mit ihrem unwiderstehlichsten Lächeln „Guten Morgen“ geflötet. „Tach“, hatte ihr die Dame mit gezückter Braue entgegengezischt, „ist gleich um Dreie“ – und war, ohne Laras Prada-Täschchen eines Blickes zu würdigen, davongeschritten. „Unverschämte blöde Kuh“, hatte Lara sofort wütend festgestellt. Das Grüßen, und zwar das der gesamten Nachbarschaft weit und breit, hatte sich damit erledigt.

Nun stand sie hier und verwünschte den dummen Sven, der sie in dieses ganze Elend verschleppt hatte. Appartement in Potsdam West? Eine popelige Dreieinhalb-Zimmer-Wohnung war das. Im 4. Stock, ohne Aufzug. Das sogenannte halbe Zimmer reichte knapp für ihre Garderobe, ohne Wintermäntel. Zum Bad gelangte man nur durch die Küche und zum Duschen musste man in die Badewanne steigen und einen unglaublich spießigen Duschvorhang vorziehen. Aber das wenigstens hatte Sven eingesehen, der Duschvorhang musste ausgetauscht werden. Lara war es leid, über solchen Kram mit Sven zu diskutieren. Es war doch nicht schwer zu begreifen, dass er Geld verdiente und sie es ausgab. Arbeitsteilung halt. Eine Weile würde sie Sven noch ertragen, denn sie hatte einen Plan, einen vorzüglichen Plan, und für den brauchte sie Sven. | Edith Schwarz

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