Kirschblüte an der Havelbucht

Foto: Beatrice Volkmer

„Unter den Zweigen der Kirschbäume in Blüte ist keiner ein Fremder hier.“ Issa 

Kaum hat die Sonne ein wenig an Kraft gewonnen und die Tage werden länger, brechen die zarten Blüten des Japanischen Kirschbaums ebenso still wie spektakulär aus ihren Knospen. Sie läuten mit verschwenderischer Pracht und zartem Duft den Frühling ein. Der japanische Begriff „Sakura“ bedeutet „Kirschblüte“ und diese wird in Japan vom Beginn der Blüte bis zu ihrem Ende im ganzen Land gefeiert. Hauptnachrichten, wie politische Krisen, treten in den Fernsehsendern in den Hintergrund zugunsten einer Art Wetterkarte, die den Beginn der rosa Pracht in den verschiedenen Landesteilen anzeigt. Meteorologen im ganzen Land beschäftigt eine exakte Vorhersage für bekannte Städte wie Kyoto, Osaka oder Tokyo. Sogar über die verschiedenen Lagen innerhalb der Städte informiert eine tagesaktuelle Liste in der Tourismusinformation in Kyoto.

Die Zeit der Kirschblüte ist kurz. Weniger als drei Wochen blüht ein Baum, dann ist der Zauber vorbei. Zelebriert wird die Sakura in ganz Japan durch das „Hanami“, die Betrachtung der Kirschblüte. Der Brauch des Hanami existiert bereits seit dem 8. Jahrhundert und hat seine Wurzeln im Zen-Buddhismus. Die zarten Blüten, die im ersten lauen Frühlingswetter so wunderbar aufblühen, aber nach kurzer Zeit schon wieder verwelken, oder, was häufiger ist, einem Schnee- oder Regenschauer zum Opfer fallen, sind Symbol für den ewigen Wandel, den Zyklus von Werden und Vergehen. So steht die Kirschblüte nicht nur für Jugend, Reinheit und Schönheit, sondern auch für Tod und Vergänglichkeit. Das Verweilen unter einem blühenden Kirschbaum soll den Menschen zu einem tiefen Verständnis dieser scheinbaren Gegensätze führen und zu einer Hinleitung zu dem „für das es sich zu leben lohnt“ oder „der Freude und dem Lebensziel“, in der japanischen Kultur „Ikigai“ genannt.

Heute steht dieser spirituelle Aspekt nicht mehr unbedingt im Vordergrund des japanischen Hanami. Man breitet Planen unter den Kirschbäumen aus, trifft sich dort mit der Familie oder Freunden zum Picknick, um die Atmosphäre in vollen Zügen zu genießen. Auch in unserer Region wird vielerorts die Baumblüte mit bunten Festen gefeiert. Wer jedoch einmal sein ganz persönliches kleines Hanami erleben möchte, muß sich nur zur Neustädter Havelbucht am Kiewitt begeben. Dort kann man das Aufblühen von 42 japanischen Zierkirschen miterleben, Bäumen mit einer außergewöhnlichen Geschichte. Sie sind ein Geschenk des japanischen Volkes aus Anteilnahme und Freude über das Ende der deutschen Teilung. Obwohl es annähernd dreißig Jahre her ist, dass diese Bäume gepflanzt wurden, ist die ihre Blüte in jedem Jahr ein neues Geschenk und eine Einladung, sich ihrem Zauber ein Weilchen zu öffnen.

Übrigens
Auch unsere heimischen Kirschbäume erfuhren in vergangenen Jahrhunderten großen Respekt. Die Blüten nutzte man zu verschiedensten Orakeln, die sich meist um die Themen Liebe und Fruchtbarkeit rankten. Gehalten hat sich der Brauch, am 4. Dezember, dem Tag der Heiligen Barbara, Kirschzweige in eine Vase mit Wasser zu stellen. Wenn sie zu Weihnachten aufblühen, bedeutet das Glück im neuen Jahr. Die reifen roten Früchte des Kirschbaums indes galten der Kirche seinerzeit als Verführungen des Teufels. Ihr Genuss sollte erotische Begehrlichkeiten wecken, die im Gegensatz zur Befolgung christlicher Gebote standen. So kamen die süßen Früchtchen kurzerhand auf eine entsprechende Verbotsliste. Dessen ungeachtet erfreut sich die Kirsche jeden Sommer aufs Neue größter Beliebtheit. Nur die sprichwörtlichen „Kirschen in Nachbars Garten“ gelten auch heute noch als ziemlich gefährlich.

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www.gehoelze.ch

Edith Schwarz

Written by BV