E-Scooter für die Ego-Shooter? Da rollt was auf uns zu!

Foto: Beatrice Volkmer

Neulich, im Sommer 2019, auf dem schmalen Fuß- und Radweg neben dem Schafgraben: Wir kommen langsam mit Fahrrad und Hund daher, als uns von oben, von der Brücke Geschwister-Scholl-Straße, mit ziemlichem Tempo zwei Tretroller-Fahrer entgegengerast kommen, flotte Jungs in Badelatschen. Ich bremse scharf und springe ab, die beiden düsen an uns vorbei. Gerade noch mal gutgegangen!

Szene Zwei: Am Kuhtor treffe ich unsere blinde Nachbarin Stefanie, die mit ihrem Hund unterwegs ist. Beide stolpern beinahe über einen dieser nagelneuen Elektro-Scooter, der hier quer mitten im Weg steht. Ich sage: „Stopp, das ist ein Tretroller, nicht hinfallen. Die stehen jetzt beinahe überall!“ Die blinde Frau sagt, so etwas habe sie noch gar nicht auf dem Schirm gehabt.

Wer braucht sie, diese neuen Gefährte? Im Juni wurden sie in Deutschland zugelassen. Laut Potsdamer Stadtwerken sollen sie „vor allem junge Berufstätige und Studenten“ locken, um „die verbleibenden Meter von Bus und Bahn in die Innenstadt, zum Arbeitsplatz oder zur Uni zurückzulegen“. Man braucht also keinen Meter mehr zu Fuß zu laufen. Der Elektroakku dreht auf bis zu 25 Kilometer pro Stunde. Allerdings sind nur 20 Kilometer pro Stunde erlaubt auf Deutschlands Radwegen. Einen Helm braucht es nicht zum Tretrollerfahren, und im Unterschied zum normalen Fahrrad zählen entsprechend zusammengeklappte Roller in Potsdams Bussen und Trams sogar als Handgepäck, dürfen daher kostenlos einfach mitgenommen werden. „Die Politik“ pusht die neuen Roller also offenbar in vieler Hinsicht.

Was sagen Nachbarn in der Brandenburger Vorstadt zum neuen Phänomen?

Eine der ersten Zulassungen in Deutschland erhielt übrigens der Autokonzern BMW für sein Modell X2City, das rund 2.500 Euro kostet. Eine möglicherweise interessante Verbindung – Verkehrsminister Scheuer, CSU, Bayern, BMW.

Laut Süddeutscher Zeitung sind viele Autokonzerne und Logistikzentren überzeugt, dass ein Milliardengeschäft wartet. US-Unternehmen wie die Uber-Beteiligung Lime und deren Konkurrent Bird hätten bereits viele Hundert Millionen Dollar für den Aufbau eines globalen Leihgeschäfts mit den Rollern eingesammelt. Der deutsche Autokonzern Daimler wiederum steckt laut SZ hinter dem Dienst Hive, der schon lange unter anderem in Paris, Warschau, Athen und Lissabon Roller verleiht.

Die MAZ schreibt, die Roller seien schnell, einfach und umweltfreundlich. Schnell stimmt wohl – leider. Wenn circa 15 Cent pro Minute per Kreditkarte und App fällig werden, dann rast man halt eher, als entspannt zu rollen. Und im RBB-Inforadio höre ich, dass eine Verleih-Firma nachts mit großen Autos in Berlin-Mitte jeweils 30 Roller einsammelt, um die dann nach Spandau rauszufahren, wo das Start Up eine Halle gemietet hat, um dort die noch intakte Hälfte der Roller wieder aufzuladen. Nachhaltigkeit? Die sieht sicher anders aus.

Es gibt mittlerweile vor allem vier Kritik-Punkte gegenüber den E-Tretrollern:

Erstens: Eine massive Verletzungsgefahr vor allem der Sprunggelenke und des Schädels für die Selbst-Fahrer, aber noch viel mehr bei einem Zusammenstoß mit den massiven Rollern für die Unfallgegner auf dem Rad oder zu Fuß.

Zweitens: Der versprochene Nutzen steht grundsätzlich infrage, weil es (im Gegensatz zum Fahrrad) keine zusätzlichen Transportmöglichkeiten für Gepäck gibt. Es fehlen Ladestationen, und das Aufladen dauert zu lange. Für die Deutsche Umwelthilfe sind sie auch daher gerade keine Alternative zum Auto, weshalb man dort stattdessen dafür plädiert, „den öffentlichen Personennahverkehr auszubauen und die Infrastruktur für Fahrräder zu verbessern“.

Drittens werden sowohl Umweltfreundlichkeit als auch Klimabilanz kritisch gesehen. Die Herstellung der Akkus für alle Arten von Elektroindividualmobilität ist sehr energieintensiv, und die Gewinnung der Rohstoffe geht häufig mit großen Umweltbelastungen einher, wenn wir die Umweltbilanz von Lithium-Ionen-Akkus generell betrachten. Zudem haben die Fahrzeuge durch schlechte Qualität und Vandalismus oft nur eine extrem kurze Lebensdauer. Im Sharingbetrieb liegt sie laut vielen Studien meist nur zwischen 28 Tagen bis zu maximal 3 Monaten. Insofern ist das von vornherein rasender Sondermüll, der schnell verschlissen ist, bald entsorgt werden muss und dann von den großen Konzernen auf unser aller Kosten steuerlich abgeschrieben wird.

Viertens komme ich auf unsere blinde Nachbarin zurück: Sie hatte wie gesagt das neuartige Hindernis mitten im Weg noch gar nicht auf ihrem inneren Schirm. Vertreter von Senioren- oder Behindertenverbänden, aber auch von Polizei und Versicherungen warnen, dass man die Tretroller kaum hört und sich auch daher das innerstädtische Unfallrisiko für viele nicht ganz so mobile Menschen insgesamt erheblich erhöht.

Grundsätzlich finde ich es problematisch, dass auch hier wieder öffentlicher Raum zugunsten von Konzerninteressen buchstäblich privatisiert wird. Die Verleih-Firmen eignen sich mit ihren im Weg stehenden Rollern einfach den Bürgersteig an, aus einem Freiraum für alle wird ein Geschäftsfeld für wenige. Und mir scheinen die Leih-Roller dabei noch weit mehr im Weg zu stehen als bisher Leih-Fahrräder. Verleiher von Tretrollern werben ja ausdrücklich damit: Nimm ihn Dir und lass ihn dann einfach stehen, wo und wie es Dir gefällt.

Tretroller – für Ego-Shooter zum Treten nach unten und zum Buckeln nach oben? Davon sind schon mehr als genug hierzulande unterwegs. Und übrigens – von wegen „endlich Elektromobilität“: die gibt es schon lange, heißt „Eisenbahn“ oder auch Tram und bräuchte dringendst mehr Ressourcen, damit Bahnfahren statt wie bisher teuer und schlecht endlich gut und günstig wird. | Sebastian Köhler


Der Artikel als Hörbeitrag:

E-Scooter für die Ego-Shooter? Da rollt was auf uns zu! | von Sebastian Köhler

Written by BV